
Jäger:innen unter der Lupe – Welche Menschen stecken hinter der Jagd. Interview mit Ulrike Schmid, PhD.
Bitte beschreiben Sie Ihre Tätigkeit und den Bezug zur Jagd.
Mein Bezug zur Jagd hat sich im Rahmen meines Studiums ergeben. 2016 habe ich eine kleine Studie mit dem Schwerpunktthema Frauen in der Jagd durchgeführt, die 2018 in gekürzter Form im Transcript Verlag veröffentlicht wurde: „Jägerinnen unter Jägern. Rekonstruktion männlicher Herrschaft im Feld Jagd.“ In: Björn Hayer/Klarissa Schröder (Hg.) Tierethik transdisziplinär. Literatur – Kultur – Didaktik. In diesem Zusammenhang habe ich auch die Jagdprüfung absolviert.
Immer mehr Frauen machen den Jagdschein, welche Rolle spielt die Frau in der Jagd?
Meine kleine Studie hatte verschiedene Gründe herausgearbeitet, warum Frauen jagdlich tätig werden. Dies waren etwa die potenzielle Möglichkeit für Jedermann/-frau den Jagdschein zu erwerben und eventuell selbst jagen zu gehen. Der familiäre Hintergrund (Eltern, Ehepartner/innen) spielt eine große Rolle. Manche (meist männliche Jäger) steigen über die Fischerei in die Jagd ein oder ihr Beruf erfordert den Jagdschein (z.B. Forst). Frauen geben auch an, Interesse (an Tieren und der Natur) zu haben, sie wollen mitreden können oder ihr Wissen erweitern. Wieder andere sehen es als Privileg, jagen zu ‚dürfen‘ und für manche werden auf der Jagd geschäftliche wie private (intime) Kontakte geknüpft. Weitere Gründe waren auch das Beute machen, Trophäen zu erjagen oder sich mit ‚Fleisch‘ selbst zu versorgen. Geselligkeit/Freundschaft, Tradition, Brauchtum, Naturverbundenheit und nicht zuletzt Erholung wurden als Motivationen angegeben.
Die Rolle der Frau in der Jagd hat sich an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst und hat sich zu einer annähernd gleichberechtigten und aktiven Beteiligung an jagdlichen Agenden entwickelt. Die Teilhabe ist nach wie vor auch abhängig von verschiedenen verfügbaren Kapitalarten, allen voran ökonomisches und soziales Kapital. Frauen sind heute in der Jagd ebenso präsent wie Männer und tragen (groteskerweise) so vermutlich auch zu einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz bei. Zum Zeitpunkt meiner Studie (2016) waren Frauen aber eher noch Bereichen engagiert, die eine typische Rollenzuweisung impliziert, wenn es z.B. um Mode, Kulinarisches oder Redaktionelles geht.
Ist die moderne Jagd ein Ausdruck der patriarchalen Macht, warum sind nach wie vor mehr Männer an der Jagd beteiligt?
Es sind sicher noch mehr Männer jagdlich tätig als Frauen. Worauf das genau zurückzuführen ist, kann ich nur spekulativ beantworten. Aber es wäre eine schöne Forschungsarbeit. Denn Frauen haben aufgeholt und sind mit steigenden Zahlen in der Jagd vertreten, obwohl Empathie mit dem Leiden von Tieren tendenziell mit Weiblichkeit konnotiert wird. Was den jagdlichen Habitus betrifft, haben sich Frauen den männlichen Kollegen angepasst. Die ‚moderne‘ Jagd ist im Hinblick auf ihren Ausdruck patriarchale Macht zu sein meiner Meinung vernachlässigbar. Viel eher würde ich meinen, dass es sich hierbei um einen etablierten imperialen Lebensstil handelt, der von der festen Überzeugung getragen wird, wildlebende Tierarten und ‚Natur‘ regulieren und managen zu müssen. Das betrifft aber jagende Männer und Frauen gleichermaßen (bzw. auch jene, die die Abschusspläne ausarbeiten), da sie für sich in Anspruch nehmen, über das Leben und Sterben anderer Lebewesen zu bestimmen.
Warum werden Trophäenjäger und Naturschutz so oft vermischt? Warum haben Jäger:innen so eine Monopolstellung in Naturschutz und Artenschutzfragen?
Hier würde ich mutmaßen, dass sie jahrzehntelang einfach bessere Selbstvermarktungsmöglichkeiten hatten. Wenn jahrzehntelang, einem perpetuum mobile gleich, immer wieder Schlagwörter wie Jäger als Natur- und Artenschützer oder Experten in Wildtierfragen über verschiedenste Kommunikationskanäle (z.B. Massenmedien wie Print, TV oder auch Schulbücher) positioniert werden, dann vollzieht sich hierbei einmal eine Normalisierung. Stereotyp wiederholte Wortverbindungen wie „gelebter Naturschutz“ oder „Wildschadensminimierung“ verselbstständigen sich und werden nicht mehr hinterfragt. Das Töten von empfindungsfähigen Tieren wird nicht mehr als etwas Negatives oder Befremdliches gesehen, sondern kollektiv in den Denk- und Handlungsstrukturen der Gesellschaft eingebettet. Hinzu kommt die strukturelle Verflechtung mit Recht, Politik und Verwaltung. Zu jagen ist legal und durch die rechtliche Konstruktion kaum anfechtbar. Die Gruppe der Jäger:innen ist außerdem gut vernetzt und in der Regel finanziell gut aufgestellt. Meine persönliche Beobachtung ist, wenn man in Österreich da und dort gute Beziehungen hat, kommt man schnell viel weiter. Tierethisch oder tierrechtlerisch orientierte Gruppen stören in der Regel das System, sind unbequem, werden diffamiert, kriminalisiert oder schlicht marginalisiert.
Kindern wird immer erklärt, dass Jäger:innen sich um die Wildtiere „kümmern“, wodurch ein völlig falsches Bild dieser Gruppe vermittelt wird, wie kann man da entgegenwirken?
Das wird vermutlich noch ein dickes Brett zu bohren sein. In meiner Dissertation habe ich Konzeptualisierungen von Tieren in österreichischen Biologie-Schulbüchern der Sekundarstufe I untersucht. Bemerkenswerterweise ist auch die Jagd hier prominent vertreten. Jedenfalls im Kontext einiger bestimmter Tierarten wie Rothirsch und Reh. Dies ist aber kritisch zu sehen. Es mag sich bei der Jagd zwar um eine sogenannte ‚Kulturtechnik‘ handeln, aber eine, die mit Gewalt an Tieren zusammenhängt. Jagende werden jetzt vermutlich aufschreien, dass die Jagd doch so viel mehr sei. Unterm Strich werden aber Tiere (meist) durch Schusswaffengewalt getötet. Man muss sich fragen, ob das Biologie-Schulbuch der geeignete Ort dafür ist, diese gewaltförmige Praktik zu legitimieren. Zumal eine tierethische Perspektive vollkommen außen vor bleibt. Dort, wo eigentlich vom Leben gelehrt werden soll (wenn ich Biologie wörtlich nehme), passiert genau das Gegenteil: Kinder lernen, dass bestimmte Tierarten durch die Jagd erschossen werden und Menschen biopolitisch und geografisch über ihr Leben bestimmen.
Warum haben Jäger:innen eine eigene Sprache?
Das ist ein weites Themenfeld und die Frage nicht in einem Satz zu beantworten, da sicher mehrere Aspekte zu berücksichtigen wären. Ich greife aber nur einen heraus und würde sagen, dass es mit Distinktion zu tun hat. Das heißt, sich sprachlich abzugrenzen von anderen Bereichen oder durch die Wortwahl zu präzisieren, wenn etwa von Kahlwild (d.h. keine oder noch ohne Trophäe) gesprochen wird. Gleichwohl ist es aber so, wie Konrad Paul Liessmann einmal gesagt hat, dass sich die Jägersprache in unsere Alltagssprache (und unsere Köpfe) eingeschlichen hat. Wenn man z.B. sagt, dass einem etwas durch die Lappen gegangen ist oder jemand etwas hinter die Löffel bekommt. Das hat vermutlich auch etwas mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz zu tun, weil die Praktik der Jagd so ‚normal‘ scheint und auch symbolisch omnipräsent ist.
Warum ist ein Bundes-Jagdgesetz deiner Meinung nach wichtig?
Ein Bundes-Jagdgesetz wäre meiner Meinung nach ein wichtiges Signal dahingehend, dass ein Modernisierungsprozess vonnöten ist. Auch wenn vielen tierlichen Individuen deshalb nicht geholfen werden kann und es nicht dazu beiträgt, die strukturelle und physische Gewalt an Tieren zu beenden. Es braucht zumindest erste Schritte, die Jagd des Feudalismus zu entrümpeln und beispielsweise als kleinsten gemeinsamen Nenner ein Bekenntnis zu einer einheitlichen Schonzeit für alle gejagten Tierarten einzuführen. Dass sich ausgerechnet jene so vehement dagegen wehren, die für sich das Etikett Natur- und/oder Artenschützer:innen in Anspruch nehmen wollen, entlarvt ihren vermeintlich hehren Ethos im Grunde doch als glatte Lüge.
Vielen Dank für das Interview!
Foto (c) Ulrike Schmid